2022 war durch die hohe Inflation und steigende Zinsen geprägt. Wie geht es 2023 weiter? Mit den folgenden Thesen beziehen wir Stellung zu zentralen Themen und erläutern die wichtigsten Implikationen für unsere Portfolioausrichtung.
Inflationskonvergenz: Die Inflationsraten in den USA und Europa werden spürbar zurückkommen (s. unser Beitrag vom 14. September 2022), weil Lieferketten sich normalisieren, Lagerbestände sich auffüllen, Rohstoffpreise im Laufe des Jahres 2022 gefallen sind, Basiseffekte aus dem hohen Vorjahr helfen und vor allem die Endnachfrage nach dem Post-Covid-Boom etwas schwächelt. Allerdings bleibt die Lohninflation erhalten, solange sich der Arbeitsmarkt nicht in Folge einer Rezession deutlich abschwächt. Die Arbeitsmärkte sind derzeit so angespannt, dass eine leichte Rezession wohl noch nicht ausreicht, um zu einer deutlichen Verschlechterung der Verhandlungsmacht der Arbeitnehmer zu führen. Durch die rückläufige Gesamtinflation und anhaltende Lohnsteigerungen (Konvergenz von Gesamt- und Lohninflation) wird die Kaufkraft 2023 weniger stark leiden als im Jahr 2022. Die anhaltende Lohninflation birgt aber das Risiko, dass sich die Inflation auf einem erhöhten Niveau relativ hartnäckig halten könnte.
Zinsen: Der Markt erwartet aktuell, dass auf den derzeitigen Zinserhöhungszyklus relativ schnell wieder Zinssenkungen im Zuge einer Rezessionsbekämpfung folgen sollten. Erste Zinssenkungen werden also für 2023 erwartet. Wegen unserer Inflationseinschätzung sehen wir hierin eine mögliche Fehleinschätzung, weil Notenbanken die Zinsen erst senken können, wenn die Inflation erkennbar an das 2%-Ziel herankommt. Solange die Lohninflation deutlich über 3% liegt, halten wir Zinssenkungen für unwahrscheinlich. Daher halten wir unsere Duration im Anleiheportfolio aktuell kurz. Dies gilt gleichzeitig auch deshalb, weil nach den deutlichen Zinserhöhungen im Jahr 2022 kurzlaufende Anleihen einen attraktiven Ertrag liefern.
Konjunktur: Es ist für einen Jahreswechsel ungewöhnlich, dass die Mehrzahl der Volkswirte eine recht düstere Konjunkturprognose abgeben. Aktuell erwartet der Markt allgemein eher eine Rezession für das Jahr 2023 als ein Jahr mit Wachstum. Die gestiegenen Zinsen und Kosten sollten zu einer schwächeren Endnachfrage durch die Konsumenten und weniger Investitionen bei den Unternehmen führen. Im Grunde ist die anstehende Rezession, die womöglich am meisten antizipierte Rezession, die es je gab. Dies muss aber nicht zwingend so kommen. Sofern die Zinsen 2023 deutlich langsamer steigen als im Jahr 2022 und letztlich eine Pause bei den Zinserhöhungen eingelegt wird und die Rohstoffpreise nicht einen überraschend deutlichen Sprung nach oben machen sollten, erscheint es uns immer noch möglich, dass eine Rezession vermieden werden kann. Wegen der recht hohen Lohnsteigerungen bleibt die Endnachfrage halbwegs robust. Ein Faktor könnte auch die wirtschaftliche Öffnung Chinas nach jahrelangen harten Covid-Restriktionen werden. Hier gibt es aufgestaute Nachfrage, ähnlich wie in den USA oder Europa post Covid.
Anleihen: 2022 brachte positive Renditeaussichten für Anleihen zurück. Nach den heftigen Zinsanstiegen und in Erwartung weiterer Zinsanstiege für 2023 liefern vor allem kurzlaufende Anleihen attraktive Renditeniveaus. Wegen der ausgeprägten Inversion der US-Zinskurve lohnt es sich nicht in lange Laufzeiten zu investieren. Erfreulicherweise ist es auch nicht notwendig in den US-Dollar-Raum zu investieren und das Währungsrisiko in Kauf zu nehmen. So können bei Euro-Unternehmensanleihen guter Bonität mit kurzer Laufzeit mittlerweile auskömmliche Renditen erzielt werden. Dies bringt einen recht attraktiven Ertrag mit wenig Risiko, der zur Stabilität des Portfolios beiträgt. Aber auch andere Anlageklassen, die riskanter sind, bieten gute Renditeaussichten. So sind z.B. Schwellenländeranleihen lange unter Druck gewesen. Dies lag u.a. an dem stark gestiegenen US-Zinsen und dem US-Dollar. Sollte der Dollar seinen Höhenflug verlangsamen oder ganz stoppen, könnten Schwellenländeranleihen wiederentdeckt werden.
Aktien: Aktien liefern ein sehr differenziertes Bewertungsbild, was uns zu der Aussage veranlasst: Intelligente Diversifikation ist wichtiger denn je! Ein oberflächlicher Blick auf den US-Leitindex S&P 500 verheißt erstmal wenig Gutes. So notiert dieser bei einem KGV von über 17, obwohl die 10-jährigen US-Renditen bei 3,5% liegen und gleichzeitig das Risiko besteht, dass die Gewinne im Jahr 2023 nicht steigen, sondern sogar sinken könnten. Eine Bewertung mit einem KGV von 14 bis 15 wäre u.E. angemessener. Allerdings ist der S&P500 auch nur deshalb so teuer, weil wenige hoch kapitalisierte und gewichtete Unternehmen (z.B. Apple, Amazon, Tesla) teilweise deutlich höhere KGVs als der Index aufweisen und damit die Bewertung recht teuer aussehen lassen. Ohne die größten 10 Werte liegt das KGV des S&P 500 ungefähr bei 14 und ist damit im Rahmen unserer „Wünsche“. Andere Regionen (z.B. Europa oder Asien) und Sektoren liefern teilweise deutlich attraktivere Bewertungen. Interessant ist, dass sowohl im Value- als auch Growth-Segment des Marktes attraktive Investments zu finden sind. So wurden im Jahr 2022 einige Technoliegeaktien derart abgestraft, dass wir Technologietitel als neue Assetklasse im Laufe des Jahres erstmals gekauft haben. Gleichzeitig sind aber auch Value-Aktien, wie z.B. europäische Banken oder Energietitel, trotz der guten Kursanstiege in diesem Jahr immer noch nicht augenscheinlich teuer, eher im Gegenteil. Hier sind die Kursanstiege im Jahr 2022 gut durch effektive Gewinnsteigerungen untermauert. Es kommt also darauf an, nicht in die falschen Indizes zu investieren und die vorliegenden Bewertungsdivergenzen sollten es aktiven und intelligent diversifizierenden Portfoliomanagern ermöglichen, einen echten Mehrwert für den Kunden zu liefern.
Fazit: Der Wirtschaftsausblick ist etwas trüb aber nicht hoffnungslos und die Marktbewertungen sind sehr differenziert zu betrachten. Ein gemischtes Portfolio aus Aktien und Anleihen sollte aber durchaus ordentliche Renditen bringen können. Die Rentenseite hilft dabei – anders als 2022 – wieder mit positiven Erträgen zur Portfoliostabilität beizutragen.
